Die großen Verkostungsrunden werden bleiben

von Conrad Seidl 19/04/2021
Nachrichten
Die großen Verkostungsrunden werden bleiben

Wien - Was wird von den Corona-Regeln bleiben, wenn wir in absehbarer Zeit, ausgestattet mit einem „Grünen Pass“ wieder ins Theater, zu Festen, auf Reisen gehen dürfen? Die Vorschriften zum Maskentragen werden wohl irgendwann wegfallen – aber werden wird uns wieder daran gewöhnen, anderen Menschen bei der Begrüßung die Hand zu geben, sie vielleicht auch zu umarmen, wie man das bis 2019 gewohnt gewesen ist?

Werden wir wie früher in großer Runde beim Bier zusammensitzen, wie wir es gewohnt waren – und wie wir es jetzt monatelang ersehnt haben? Werden wir uns wieder die Nächte um die Ohren schlagen und von Lokal zu Lokal ziehen? Werden wir lockere neue Bekanntschaften machen und wie früher bei einem Bier über Gott und die Welt philosophieren? Vielleicht. Aber sicher ist das keineswegs. Womöglich haben sich manche Verhaltensweisen nachhaltig geändert.

Allein ein Bier trinken - "als Belohnung"

Die Managerin einer großen deutschen Brauerei hat mir kürzlich erzählt, dass sie selbst jetzt viel seltener Bier trinke als vor Corona – weil man eben nicht mehr schnell „auf ein Bier“ zusammenkommt, sondern eher sich selbst mit einem guten Bier am Abend „belohnt“. Ich wünsche ihr von Herzen, dass sie sich häufige Belohnungen verdient!

Andererseits gibt es durchaus auch angenehme Erfahrungen, die für mich selbst noch vor einem Jahr unvorstellbar gewesen wären. Damals waren der Reihe nach alle Verkostungen, die ich für Getränkehändler, Gastronomen, Unternehmen und Studentenverbindungen hätte halten sollen, abgesagt worden. Es konnten eben nicht mehr 15 bis 20 Personen zusammenkommen, um gemeinsam den sensorischen Eigenschaften verschiedener Biere nachzuspüren.

Aber der Wunsch danach ist geblieben. Nicht nur der (vorläufig unerfüllbare) nach dem Zusammenkommen, sondern auch der erfüllbare nach dem Kosten verschiedener Biere. Und den Kommentar dazu, den kann man ja auch über die uns nun zur beruflichen Gewohnheit gewordenen elektronischen Besprechungssysteme vermitteln.

Online oft besser als in Präsenz

Das klappt inzwischen hervorragend – sogar besser als bei Live-Events in Präsenz. Ein Getränkehändler hat mir vorgerechnet, dass er früher für eine Präsenzverkostung bestenfalls 16 Kunden in seinen Verkostungsraum einladen konnte. Bei einer gut geplanten Online-Verkostung sind aber im Schnitt zwischen 100 und 120 Teilnehmer dabei – in seinem Fall aus einem viel größeren Einzugsgebiet, weil er die Verkostungspakete auch an Leute verschicken kann, die niemals zu seinem Geschäftsstandort fahren würden.

So kann er seinem großen Online-Kundenstock gezielt Themenabende anbieten – belgische Sauerbiere, amerikanische Ales oder auch Pils-Variationen aus Deutschland – und jeweils einen kompetenten Biersommelier engagieren, der mit den angebotenen Produkten vertraut ist. Zu einem an die Empfänger der Verkostungspakete kommunizierten Zeitpunkt werden diese dann miteinander und mit dem Profi-Vorkoster vernetzt und haben zwei bis drei Stunden lehrreichen Spaß daheim.

Das alles zu Kosten, die für alle Beteiligten tragbar sind. Man wird sich das merken müssen, weil die Infrastruktur für Onlinekonferenzen nun einmal vorhanden ist und deren Verwendung eingeübt wurde. Bei Online-Verkostungen dürfte sie mindestens so viel Zukunft haben wie das Home-Office, von dem man derzeit viel weniger sicher sein kann, wie sich das über die Jahre entwickeln wird.

(Diese Kolumne wurde erstveröffentlicht unter "Biertrinken mit Stil" in Der Getränkefachgroßhandel 4/2021

https://fzarchiv.sachon.de/Zeitschriftenarchiv/Getraenke-Fachzeitschriften/Getraenkefachgrosshandel/2021#whole