Betretungsverbot ist nicht gleich Sperrstunde

von Conrad Seidl 30/05/2020
Nachrichten
Betretungsverbot ist nicht gleich Sperrstunde

Wien - Die Aufregung um den Bundespräsidenten, der spätabends noch in einem Gastgarten ein Getränk zu sich genommen hat, ist noch in guter Erinnerung: Darf der denn das? Recherchen des STANDARD haben ergeben, dass das durchaus denkbar ist. Der Wirtschaftsressortchef des Blattes, Andreas Schnauder, hat nämlich die Rechtsmeinung von Juristen eingeholt, die einen feinen Unterschied zwischen dem Verbot ein Lokal zu "betreten" und einem allfälligen Verbot, im Lokal zu verweilen erkennen.

Schnauder schreibt: "Zumindest sind namhafte Juristen nach Studium der Lockerungsverordnung für die Gastronomie zu diesem Schluss gekommen. Die einschlägige Bestimmung des Rechtsaktes (§ 6, Absatz 2) lautet: 'Der Betreiber darf das Betreten der Betriebsstätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 06.00 und 23.00 Uhr zulassen.' Von einer Sperrstunde ist dabei ebenso wenig die Rede wie von einem Aufenthaltsverbot im Lokal. Die Rechtsanwaltskanzlei Harisch & Partner hat dazu eine ausführliche Analyse verfasst und kommt zu folgender Interpretation: 'Es gibt keine eigene Covid-19-Sperrstunde für Gastronomiebetriebe um 23:00 Uhr.'"

Die Sperrstunde müsse nämlich von den Landeshauptleuten festgelegt werden, sie liegt meist bei ein oder zwei Uhr morgens. Die vom STANDARD befragten Experten kommen daher zu dem Schluss, dass nicht nur der Verbleib, sondern auch die Bewirtung nach der vermeintlichen Sperrstunde weiterhin zulässig seien.

Wesentlich dabei sei lediglich, dass die Gäste vor 23 Uhr gekommen sind - also das Lokal "betreten" haben. Es handle sich eben um eine Regelung zur Betretung von Restaurants oder Kaffeehäusern und nicht zum Aufenthalt in Lokalen, erläutert Rechtsanwalt Christian Harisch, der selbst mehrere Hotels und Gastronomiebetriebe führt.

Nach dieser Lesart müssten sowohl der Bundespräsident als auch der Gastwirt straffrei ausgehen. Wobei vor einer Sanktion gegen Van der Bellen erst die Zustimmung der Bundesversammlung einzuholen wäre.

Das Gesundheitsministerium bleibt hingegen bei seiner Ansicht: Es sei nicht nur das Betreten, sondern auch das Verweilen in Gaststätten nach 23.00 Uhr verboten. Das erinnert an die Ausgangsbeschränkungen, die laut Regierungskommunikation strenger waren als die Buchstaben der Verordnung. Gestraft wurde dennoch – nicht immer rechtskonform, wie eine Entscheidung in Niederösterreich zeigt.