Appenzell - Nationalgerichte sind quasi unantastbar. Wir Wiener können ein Lied davon singen. Wiener Schnitzel, das muss Kalbfleisch sein. Schweinefleisch und Putenfleisch sind nur dann akzeptabel, wenn das Ergebnis als „Schweinswiener“ oder eben „Gebackenes Schnitzel von der Pute“ auf die Karte gesetzt werden. Das „Schnitzel mit Tunke“, wie man es außerhalb meines Heimatlands gelegentlich findet, wird vom Gourmet-Papst Severin Corti völlig zu Recht als „Fanal kulinarischer Barbarei“ bezeichnet. Was er zu einem Wiener Schnitzel auf vegetarischer Basis sagen würde, muss ich ihn mal bei unserer nächsten Begegnung fragen – Lobgesänge erwarte ich jedenfalls nicht.
Ob es anderen nationalen Esskulturen ähnlich geht? Ich vermute es, denn ich erinnere mich an den heiligen Zorn einer Freundin aus Thüringen, die in Bayern auf „Thüringer Rostbratwürste“ gestoßen ist, die ihrer Meinung nach gar nichts mit ihrem Herkunftsland zu tun hatten. Und Schweizern dürfte es ähnlich gehen: Schon als Kind habe ich gelernt, das das „Zürcher Geschnetzelte“ von den Schweizer Freundinnen meiner Mutter ähnlich heilig gehalten wurde wie bei uns daheim das Wiener Schnitzel – niemand, der sich ernsthaft mit Kochen befasst, würde von der traditionellen Zutatenliste abweichen.
Dann aber ist mir kürzlich ein Päckchen „Gschnetzlets aus Gerstenmalz“ untergekommen. So ein Säckchen mit 100 Gramm würde 400 Gramm Fleisch ersetzen. Natürlich ganz vegan. Nachhaltig. Und vor allem: Aus einer Brauerei.
Innovation der Brauerei Locher
Die Brauerei, um die es hier geht, ist ein Schweizer Traditionsbetrieb, nämlich die Brauerei Locher in Appenzell. Das war bis zum Ende des Schweizer Bierkartells 1991 ein kleiner Familienbetrieb mit 10 Mitarbeitern, „die meisten davon Familienmitglieder“, wie der Geschäftsführer Aurèle Meyer erzählt. Heute sind es 200 Mitarbeiter – und obwohl Locher keine Ausstoßzahlen kommuniziert, lässt sich aus dem Anfall von 30 bis 50 Tonnen Bietreber auf eine Jahresproduktion im gesunden sechsstelligen Hektoliterbereich schließen.
Und um den Treber geht es. Das sind die ausgelaugten Malzreste, die bei der Bierproduktion übrigbleiben – sie enthalten kaum noch Kohlenhydrate (diese sind ja die Basis für den Alkohol im Brauprozess), wohl aber viele Proteine und sie gelten daher als wertvoller Futterzusatz für Milchvieh. Aber irgendwann passten Bierausstoß und Viehbestände nicht mehr gut zusammen – woraufhin man bei Locher darauf verfallen ist, diese Abfallstoffe einem Upcycling zu unterziehen.
Tschipps, Faschiertes und Pizza aus Biertrebern
Unter der Marke „Brewbee“ werden Produkte auf Basis von Biertrebern erstellt: „Tschipps“ (also Knabbergebäck) in allen denkbaren Geschmacksrichtungen, Fertigpizza (neben Mehl kommen Bierhefe und Treber in den Teig), Müsli und eben auch Fleischersatz (Gschnetzlets und Ghackets) zur Nutzung der Eiweißkomponenten. All das wird in dem an den historischen Brauereistandort angegliederten Besucherzentrum Brauquöll im Zentrum von Appenzell neben der beachtlichen Biervielfalt angeboten: Locher hat ja als erste Schweizer Brauerei neben ihrem „Quöllfrisch“ Lager ein Biobier auf den Markt gebracht und dann unter anderem mit Pumpkin Ale, mehreren IPAs und vor allem dem Vollmond-Bier bei jungen Zielgruppen gepunktet. Mit den Brewbee-Produkten gibt es bier-basierte Mitnahmeartikel, die die Bindung an die Appenzeller Brauer noch verstärken.
Schließlich schmeckt das auch noch gut: Bei der Zubereitung von konventionellem Zürcher Geschnetzeltem neben der Brewbee-basierten Version fällt auf, dass das Treber-Geschnetzelte während der Kochzeit nach etwas mehr Weißwein verlangt – am Ende aber mindestens so fleischig schmeckt (und auch ein ebenso fleischiges Mundgefühl vermittelt) wie das Original Geschnetzelte.
https://appenzellerbier.ch/de/
Dieser Artikel ist ursprünglich im Fachmagazin "Der Getränkefachgroßhandel" erschienen.