Jubiläum ohne Feier, aber mit Prachtband

von Conrad Seidl 19/05/2020
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Jubiläum ohne Feier, aber mit Prachtband

Wien - Im Wiener Schweizerhaus bemüht sich Seniorchef Karl Kolarik um Zweckoptimismus – zwei Monate seiner sonst von Mitte März bis Ende Oktober dauernden Saison hat er verloren. Und das noch dazu in jenem Jahr, in dem seine Familie genau 100 Jahre als Betreiber dieser Praterinstitution tätig ist: „Wir schauen optimistisch in ein neues Jahrhundert und nicht ganz so optimistisch in die neue Saison.“ Dass der verbleibende Rest der Betriebszeit nicht so gut laufen wird, ist schon rein rechnerisch absehbar: Durch eine Neuaufstellung der Tische mit der behördlich gebotenen Distanz sind 40 Prozent der Plätze verloren gegangen.

Auch die seit der Zwischenkriegszeit traditionelle Schweizerhaus-Stelze, erstmals erwähnt auf der Speisekarte vom 27. Juni des Jahres 1939, muss heuer anders serviert werden als sonst – sie wird nicht vom Kellner am Tisch zerlegt, sondern mit guten Ratschlägen, wie man den Knochen entlang schneiden muss, aufgetischt. Andererseits habe das Schweizerhaus schon schlimmere Zeiten erlebt, sagt Kolarik im Rückblick auf die Unternehmensgeschichte: Sein Vater war zur Marine eingezogen worden, der Betrieb im Prater im Krieg ausgebrannt – auch das habe man, wenn auch von Schulden gedrückt, überstehen können.  

Bewegte Geschichte

Und eigentlich hätte das gefeiert werden sollen - 100 Jahre Familie Kolarik im Schweizerhaus wäre ein schöner Anlass gewesen. Das Geburtstagsgeschenk wäre auch schon fertig gewesen: Der bekannte Journalist Herbert Lackner (ehemals die Edelfeder der Arbeiter Zeitung, später dann 23 Jahre Chefredakteur des Profil) hat mit dem Buch "Das Schweizerhaus - Die Geschichte einer Wiener Institution" (Ueberreuter Verlag) ein Buch voll nostalgischer Erinnerungen zusammengestellt. 

Niemals habe er sich so leicht getan, einen ersten Satz für eine Geschichte zu finden, sagte Lackner bei der Präsentation: "Stellen Sie sich, lieber Gast, einmal Folgendes vor: Sie sitzen gemütlich bei Ihrem Bier und von der Wiese zwischen Schweizerhaus und Hauptallee erklingt plötzlich wundersame Musik. Es ist Ludwig van Beethoven, der mit dem berühmten Geiger Ignaz Schuppanzigh und dem ebenso bekannten Cellisten Joseph Linke am diesem Apriltag 1814 erstmals sein B-Dur-Trio spielt, das 'Erzherzog-Trio'. Beethoven ist b ereits fast taub, er sitzt hier im 'Ersten Kaffeehaus' – so heißt das Lokal, das auf dieser Wiese steht – zum letzten Mal öffentlich am Klavier. Das Erste Kaffeehaus gibt es nicht mehr, es wurde in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs völlig zerstört. Dort, wo Beethoven einst spielte, ist heute ein Kinderspielplatz. Aber das Lokal dahinter, in dem man so vortrefflich dem großen Meister lauschen konnte, das gibt es noch immer. In Wien und weit darüber hinaus ist es als 'Schweizerhaus' bekannt."

Lackner erzählt eine bewegte Geschichte, illustriert sie mit Funden aus allen erreichbaren Archiven (vieles, was 1945 im Schweizerhaus gelagert war, ist unwiederbringlich verloren gegangen) und spannt einen großen Bogen zur Kunst und Kultur: Seit etwa einem Vierteljahrtausend befindet sich an der Stelle des heutigen Schweizerhauses eine Gaststätte. Die erste, „Zur Tabakspfeife" wurde sie genannt, war wohl nur eine Bretterbude, zusammengenagelt bald nach der Öffnung des Praters durch Kaiser Josef II. im Jahr 1766.

Der Kongress tanzt, im Schweizerhaus wird musiziert

Als 1814 der Wiener Kongress begann und der Zar die Residenzstadt besuchte wechselte die „Tabakspfeife" ihm zu Ehren ihren Namen: „Zum russischen Kaiser" hieß das Gasthaus jetzt. Um 1840 entwarf der junge Eduard van der Nüll - zwei Jahrzehnte später sollte er einer der beiden Architekten der Wiener Oper werden - das erste repräsentative Gasthaus an dieser Stelle. Es wurde im damals modernen „Schweizerhaus"-Stil errichtet - ein Gebäude mit etwas ländlichem Charakter, wie es zu dieser Zeit auch in vielen Landeshauptstädten gebaut wurde.

Damit hatte die Gaststätte ihren wohl endgültigen Namen gefunden - 180 Jahre ist das her. Längst ist das Schweizerhaus, wie viel beständige Orte, eine Institution, in der sich Kulturgeschichte spiegelt: Beethoven spielte bis 1814 nebenan, Franz Grillparzer, Anton Bruckner und Arthur Schnitzler waren Stammgäste. Robert Stolz musizierte ab 1915 mit einer Militärkapelle im Schweizerhaus und ließ sich dabei zu seinem Schlager "Im Prater blühen wieder die Bäume" inspirieren.

Trotz Corona-Krise fließt das Bier

Diese Saison stellt freilich eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund der strengen Einhaltung der Bestimmungen der Bundesregierung gab es zur Eröffnung des Schweizerhauses am 15. Mai keine große Feier mit Live-Musik. Aber keine Sorge: „Feierlichkeiten werden wir auf jeden Fall 2021 nachholen!", betont Karl Hans Kolarik: „Heuer werden wir die verbleibende Zeit dafür nutzen, unsere treuen Stammgäste mit unserem Original Budweiser Budvar und unserer Original Schweizerhaus Stelze zu verwöhnen. Bei uns im Schweizerhaus lässt sich immer ein wunderbarer Kurzurlaub mit Freunden und Familie genießen."

Grundsätzlich agiert das Traditionshaus seit jeher nach den höchsten Hygienestandards, die ein gastronomischer Leitbetrieb einzuhalten hat. In der aktuellen Saison wird darüber hinaus eine Vielzahl akkurater Schritte gesetzt, die in den vergangenen Tagen und Wochen vorbereitet wurden. „Wir nehmen die Sicherheits- und Hygienevorgaben sehr ernst und haben daher weitreichende Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Gäste lanciert", schildert Karl Jan Kolarik. Um der Mund-Nasen-Schutz-Pflicht nachzukommen, wurden beispielsweise unterschiedliche Masken- und Visiertypen beschafft und dabei im Vorfeld auf ihren Tragekomfort getestet, damit das Servicepersonal, bei aller gebotenen Vorsorge, so uneingeschränkt wie möglich arbeiten kann. Selbstverständlich dürfen nur gesunde Mitarbeiterinnen arbeiten. Dazu werden sie täglich zwei mal auf erhöhte Temperatur gemessen und weiters sind Covid-19 Tests vorgesehen. Um den Abstandsregelungen nachzukommen, hat Familie Karl Kolarik das Platzangebot sowohl in den Gaststuben, als auch im weitläufigen Gastgarten deutlich reduziert.

www.schweizerhaus.at