Zugegeben: Gute Pubs gibt es in vielen Weltgegenden – und Guinness hat viel dafür getan, dass Irish Pubs in manchen Ländern, vor allem im deutschen Sprachraum, für den Inbegriff des Pubs gehalten werden.
Ich gehe selbst gerne auf das eine oder andere Guinness in eines der mit Versatzstücken von irischen Flohmärkten ausgestatteten Lokale auf dem Kontinent. Und noch lieber in eines der Pubs auf der „grünen Insel“, wenn es mich halt wieder mal dorthin verschlägt.
Aber ich will nicht verhehlen, dass mich das britische Pub noch viel mehr anspricht. Das Public House britischen Zuschnitts ist eine Einrichtung, die ziemlich einzigartig ist (schon im britisch dominierten Nordirland ist es nicht mehr ganz dasselbe). Und es erschließt sich unsereinem nur dann, wenn man sich wirklich darauf einlässt. Was ist etwa davon zu halten, wenn über einer Bar ein in Messing gegossenes Schild mahnt: „England expects that every man will do his duty“? Unsereins vermutet, dass hier erwartet wird, dass jeder seiner Pflicht als Gast nachkommen wird, kräftig dem Bier zuzusprechen.
Das wird dem Landlord, wie der Betreiber eines Pubs in England genannt wird, durchaus recht sein. Aber in Wahrheit hat der Satz eine historische Bedeutung: Admiral Nelson, den die meisten Touristen allenfalls als die Figur auf der Statue am Trafalgar Square in London kennen, ließ dieses Signal am 21. Oktober 1805 unmittelbar vor der siegreichen Schlacht am Cabo Trafalgar setzen. Entdeckt habe ich das eindrucksvolle Schild tatsächlich in einem Pub, das sich „The Lord Nelson“ nennt, von den Stammgästen aber weniger respektvoll als „Nellie“ bezeichnet wird. Sieht man sich genauer um, dann findet man ein Modell von Nelsons Flagschiff Victory, Nelsons Gebet um den Sieg in goldenem Rahmen und natürlich viele Zapfhähne aus denen Biere mit so maritimen Namen wie Broadside oder Ghostship gepumpt werden. Jawohl: mit der Handpumpe gepumpt, wie es sich für ein Real Ale gehört.
Dieses Lord Nelson liegt in Southwold, an der Ostküste Englands – gerade einen Steinwurf vom Strand entfernt und ebenfalls nicht viel weiter von der Adnams Brewery, die diese Biere braut. Den Besuch bei Adnams und im Nellie verdanke ich meinem Freund Mark Dorber, seinerseits Landlord eines anderen Pubs – des Anchor in der benachbarten Ortschaft Walberswick. Mark ist eine Legende der britischen Bierkultur, viele Jahre lang hat er das White Horse on Parson’s Green geführt, damals das beste Pub in London. Mark hat dort nicht nur den Ausschank des handgepumpten Real Ale perfektioniert.
Feinheiten des Cask Conditioning
Er hat auch Generationen von Gastronomen darin ausgebildet, diese von der Brauerei unfiltriert ausgelieferten Biere im Keller des Pubs ausreifen zu lassen, genau die richtige Menge Kohlensäure im noch weiter gärenden Bier anzureichern und das Ale zum optimalen Zeitpunkt anzuzapfen. Dann kann es ohne jegliche Trübung ausgeschenkt werden – die Hefe bleibt, gebunden durch Hausenblase, im Fass. Cask conditioning heißt dieser Prozess. Und wer ihn versteht, bekommt eine Ahnung davon, warum früher auch bei uns Wirte damit geworben haben, dass sie „gepflegte“ Biere ausgeschenkt haben: Denn vor 150 Jahren waren auch hierzulande die Biere noch unfiltriert (den Bierfilter hat Lorenz Adalbert Enzinger erst 1878 erfunden) und die Wirte mussten geduldig warten, bis die Biere in ihren Kellern geklärt waren.
Wer nun das Vergnügen hat, mit Mark durch die Gärkeller einer Ale-Brauerei und durch die Ausschankkeller englischer Pubs zu streifen, wird mit dieser Biergeschichte ebenso wie mit den Eigenheiten dieser und jener Hefe (die Adnams-Brauerei hat drei sehr ähnliche Stämme, von denen sich bei der Gärung aber nur zwei durchsetzen dürfen, damit das Aroma optimal passt) vertraut gemacht. Und anschließend gibt es ein herzhaftes Essen – er legt es darauf an, nicht nur kontinentaleuropäische Vorurteile gegenüber britischem Bier zu widerlegen, sondern auch jene gegenüber der englischen Küche.
Ihr
Bierpapst Conrad Seidl
Diese Kolumne ist zuerst in "Der Getränkefachgroßhandel" 2/2024 erschienen.