Zürich - Gerade in Mitteleuropa legt man besonderen Wert auf die Stabiliät des Bierschaums - man denke an die legendären Zapfversuche mit deutschem Pils. Nachweislich spielt hier - neben perfekter Gläserpflege - der Hopfen eine wichtige Rolle. Allerdings gehören Pilsbiere in die breiter gefasste Kategorie der untergärigen Lagerbiere und die Gärverfahren mit Lagerbierhefen stehen im Ruf, keinen optimalen Bierschaum zu liefern.
Aktuelle Forschungen zeigen, dass die Stabilität des Bierschaums noch von zahlreichen weiteren Faktoren abhängt, insbesondere von der Zusammensetzung der Proteine, die im Maischverfahren aus dem Malz gelöst werden. Entscheidend ist die Oberflächenviskosität, beeinflusst durch Malzproteine wie das Lipid Transfer Protein 1 (LTP1): Je stärker diese Proteinfilme, desto stabiler der Schaum. Eine aktuelle Presseaussendung der ETH Zürich zur Veröffentlichung in „Physics of Fluids“ präzisiert nun dieses Bild und betont, dass insbesondere die Marangoni-Spannung – durch unterschiedliche Oberflächenspannungen verursachte Strömungen in der Schaumkrone – für außerordentliche Stabilität etwa in dreifach vergorenen Bieren wie belgischen Trappistenbieren verantwortlich ist. Bei diesen Bieren ändert sich die Struktur der Proteine im Zuge der Vergärung mit unterschiedlichen Hefen hintereinander: Aus kugelförmigen Schutzschichten bilden sie netzartige Membranen und schließlich, nach mehrfacher Gärung, Bruchstücke mit wasserliebenden und wasserabweisenden Enden, die die Bläschen effektiv stabilisieren sowie Grenz- und Oberflächenspannung massiv reduzieren.
Der Bierstil entscheidet
Die Stabilität des Bierschaums hängt eng mit dem Bierstil zusammen: Bei untergärigen Bieren wird er hauptsächlich durch die Oberflächenviskosität oder subtile viskoelastische Effekte stabilisiert, was mit früheren Studien übereinstimmt. Dagegen profitieren belgische Ales, insbesondere solche mit mehrfacher und verlängerter Gärung wie Tripel, von sogenannten Marangoni-Spannungen. Diese starken, zirkulierenden Marangoni-Strömungen in der Schaumkrone führen zu einer deutlich erhöhten Schaum- und Filmlanglebigkeit bei belgischen Ales gegenüber einfach gegorenen Bieren. Die Stärke dieser Spannungen ist abhängig von den Gärungsbedingungen, was zu einer überlegenen Stabilität bei Tripel-Bieren gegenüber Singel-Bieren führt.
Der Hopfen spielt für den Bierschaum gleich mehrfach eine Rolle. Zum einen liefert er Bitterstoffe – die Iso-α-Säuren –, die sich nachweislich an der Grenzfläche der Bläschen anlagern. Diese Interaktion fördert die Ausbildung fester Protein-Tannin-Komplexe, was den Schaum sowohl widerstandsfähig gegen das Zerplatzen als auch langlebig macht. Untersuchungen zeigen, dass Iso- oder Tetrahydroiso-alpha-Säuren (THA) aus dem Hopfen einen deutlichen Anstieg der Schaumstabilität bringen; sie verstärken zudem die Anhaftung des Schaums am Glasrand, den so genannten "Cling". Proteolytische Überlösung beim Malz hingegen vermindert die Schaumbildung. Durch gezielte Hopfengaben, die auf die Proteinfraktion abgestimmt sind, kann die Brauerei also maßgeblich die Schaumqualität steuern.
Die ETH-Studie hebt aber klar hervor, dass eine Einzelmaßnahme selten für optimale Stabilität sorgt: „Die Stabilität des Schaums hängt nicht linear von einzelnen Faktoren ab. Man kann nicht einfach etwas ändern und es richtig einstellen; Bier macht das offensichtlich von Natur aus gut“, sagt Studienleiter Jan Vermant. Er betont, dass ein gezielter Eingriff in jeweils nur einen Mechanismus nötig ist — andere Maßnahmen, etwa zusätzliche Tenside zur Erhöhung der Viskosität, können die Marangoni-Effekte reduzieren und den Schaum destabilisieren.
Untersucht wurden sechs handelsübliche Biere verschiedener Stilrichtungen und Herkunft. Zwei der analysierten Biere stammen aus Belgien und gehören zur Kategorie Tripel: Das Westmalle Tripel (Tripel1) ist ein obergäriges, belgisches Tripel mit 9,5 Volumenprozent Alkohol und einer internationalen Bittereinheit (IBU) von 38. Das Tripel Karmeliet, ebenfalls ein belgisches Tripel (aus dem Konzern AB-Inbev), weist 8,4 Volumenprozent Alkohol und einen IBU-Wert von 16 auf. Beide Tripel-Biere zeichnen sich durch komplexe, fruchtige und würzige Aromen aus und werden traditionell mit Flaschengärung hergestellt.
Weiterhin wurden zwei Schweizer Lagerbiere analysiert: Feldschlösschen Lager aus dm Carlsberg-Konzern mit 4,8 Volumenprozent Alkohol und einem IBU-Wert von 22 sowie Chopfab Lager mit 4,7 Volumenprozent Alkohol und einem IBU-Wert von 14. Diese beiden Biere sind untergärig und zeichnen sich generell durch einen milderen, ausgewogenen Geschmack und eine moderat ausgeprägte Bitterkeit aus.
Zusätzlich fanden zwei weitere belgische Biere aus derselben Brauerei wie das Westmalle Tripel Eingang in die Untersuchung: Das Westmalle Dubbel, ein dunkelbraunes, obergäriges Bier mit 7 Volumenprozent Alkohol und einem EBU-Wert von 30, und das Westmalle Extra (Singel), ein helles, obergäriges Bier mit 4,8 Volumenprozent Alkohol und ebenfalls 30 EBU. Trotz gemeinsamer Herkunft unterscheiden sich die Biere Westmalle Tripel, Dubbel und Singel deutlich durch unterschiedlich lange Gärzeiten, variierende Zutaten und verschiedene Hefen.
In Summe entsteht stabiler Bierschaum durch das komplexe Zusammenspiel von Malzproteinen, Hopfenbitterstoffen und dynamischen Oberflächenkräften, die im Brauprozess – speziell durch Fermentationsstrategie und Hopfenmanagement – gezielt beeinflusst werden können. Die neue ETH-Forschung zeigt deutlich: Perfekter Schaum ist keine reine Zutatensache, sondern vor allem das Ergebnis einer präzisen Kontrolle physikalischer und biochemischer Prozesse, deren praktische Bedeutung weit über das Bierglas hinausreichen kann – etwa für technische und biotechnologische Schaumprojekte.
https://pubs.aip.org/aip/pof/article/37/8/082139/3360405/The-hidden-sub…