Umbruchphase in der Craftbrauer-Szene

von Conrad Seidl 06/10/2025
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Umbruchphase in der Craftbrauer-Szene

San Francisco - Die US-amerikanische Craftbier Szene erlebt 2025 eine Umbruchphase, die Branchenkenner als historischen Wendepunkt bezeichnen. Noch vor wenigen Jahren galt der Craft Beer Boom als unaufhaltsam. Kleine, unabhängige Brauereien standen für Kreativität, lokale Identität und ein Gegenmodell zu den Großkonzernen. Diese Dynamik ist ins Stocken geraten, wie die Entwicklungen der letzten Monate drastisch zeigen: Erstmals seit zwanzig Jahren schließen in den USA nun mehr Craft Breweries, als neue eröffnen. Laut Brewers Association ging im vergangenen Jahr der Craftbier-Absatz um vier Prozent zurück, ein Trend, der sich 2025 fortsetzt. Über 250 Betriebe mussten bereits in der ersten Jahreshälfte ihre Türen für immer schließen – oft solche, die als Pioniere der Szene galten und jahrzehntelang eine treue Stammkundschaft hatten.

Die Schließung der 21st Amendment Brewery im kalifornischen San Leandro steht beispielhaft für diese Entwicklung: Nach 25 Jahren ist Schluss.

Die Brauerei, benannt nach dem Zusatzartikel zur US-Verfassung, der die Prohibition beendete, war ein Magnet mitten in San Franciscos Wirtschaftsdistrict und bei Baseballfans von Oracle Park beliebt. Sie hatte seit 2021 jedoch Absatzrückgänge von 20 Prozent pro Jahr verzeichnet. 2024 fiel sie erstmals aus der Liste der 50 größten Brauereien der USA. Ende September 2025 erfolgte der letzte Zapfenstreich, wie die New York Times berichtet. Gründe für das Ende gibt es viele: Steigende Kosten für Rohstoffe und Energie, sinkende Nachfrage, erhebliche Konkurrenz an den Zapfhähnen, aber auch ein verändertes Konsumverhalten.

Das Bild wiederholt sich landesweit. Die Brewers Association zählt erstmals weniger als 9.300 in Betrieb befindliche Craft-Brauereien – ein Rückgang von einem Prozent innerhalb eines Jahres. Die Zahl verschleiert aber, dass kleine und mittelgroße Betriebe weitaus stärker betroffen sind als große Craft Player mit nationaler Distribution. Die Konzentration auf dem Markt nimmt zu: Wer mehrere Standbeine hat, zum Beispiel durch Brewpubs, Alkoholfreies oder Expansion in Seltzer- und Cider-Segmente, kommt vergleichsweise robust durch die Krise. Vielen kleinen Unternehmen fehlen die Mittel, um Maschinen für neue Produkte anzuschaffen oder das Vertriebsnetz zu erweitern. Auch Distributoren sind wählerischer geworden, weil Regale und Leitungen in den Bars knapp sind.

Auch das US-Medienportal American Craft Beer spricht von einer "Reckoning", einer Abrechnung mit langen Boomjahren: „Kosten sind gestiegen, Verkäufe fallen, das Regal im Laden wird enger. Dies ist kein normaler Zyklus, sondern eine echte Marktbereinigung“, sagt ein Westküsten-Brauer. Das bestätigt auch der CEO der Brewers Association, Bart Watson, mit den Worten: „Der Bubble musste irgendwann platzen. Wir werden das Jahr 2025 mit weniger Brauereien beenden, aber die überlebenden werden stärker und nachhaltiger sein.“  

Es gibt etliche Lichtblicke

Dabei ist nicht alles düster. Die Lust auf Bier und Geschmackserlebnisse bleibt. Etwa 43 Prozent der Craft Breweries in den USA konnten 2024 sogar ein Produktionsplus verbuchen. Treiber sind vor allem die, die ihr Portfolio erweitern und nicht mehr nur traditionelle Biere anbieten: Hard Seltzer, ready-to-drink Cocktails, Flavored Malt Beverages oder Cider boomen. Besonders junge Konsumentinnen und Konsumenten suchen nach Abwechslung und greifen öfter zu anderen Geschmackskategorien – zu Lasten klassischer Pale Ales und IPAs.

Die wirtschaftliche Situation bleibt angespannt. Watson fasst die Gemütslage als Mischung aus „Gegenwind und neuen Realitäten“ zusammen. Zwar wächst die Anzahl der Craft-Biertrinker weiter, doch der Bierkonsum pro Kopf nimmt seit Jahren ab, nicht nur im Craft-Bereich. Die Branche leidet zudem unter Preisen, die nicht immer an Konsumenten weitergegeben werden können. Tarife und Einfuhrkosten könnten 2025 für weitere Preissteigerungen sorgen – ein echter Unsicherheitsfaktor für viele kleine Produzenten.

Alkoholfreie Craftbiere

Die Branchendynamik bleibt facettenreich. Immer mehr Betriebe versuchen sich an alkoholfreien Spezialitäten, alkoholarme Sorten sowie moderne, hybride Biermischgetränke. Gesundheitstrends und bewussterer Konsum beflügeln das Wachstum in diesem Sektor: 2025 ist das Segment alkoholfreies Craft Beer laut „Craft Beer im Trend“ um 22 Prozent gewachsen. Dennoch bleibt die Zahl der reinen Bierfans, die regelmäßig lokale Spezialitäten kaufen, geringer als während der großen Wachstumsjahre. Die Forderung der Szene ist klar: Mehr Innovation und konsequente Ansprache neuer Zielgruppen sind überlebensnotwendig. 

Vorläufig bleibt der Craftbier Markt groß. Laut Marktanalysen ist allein in den USA 2025 ein Umsatz von rund 74 Milliarden US-Dollar mit Bier zu erwarten – Craft-Bier nimmt dabei einen beträchtlichen Anteil ein. Weltweit wird der Markt 2025 auf über 128 Milliarden US-Dollar geschätzt – mit kräftigen Wachstumsraten für innovative Produkte, nicht jedoch für traditionelle Bierstile. Dominierende Marken sind weiterhin Namen wie Sierra Nevada, Boston Beer Company und Stone Brewing, doch selbst große Betriebe streichen selten gekaufte Randsorten oder ziehen sich aus nur mäßig rentablen Spezialsegmenten zurück. 

Bart Watson betont die Lernkurve der Szene gegenüber „Brilliant Stream“: „Don’t panic, get to work by offering products and strategies that align with what customers want.“  Der San Francisco Chronicle berichtet, dass vor allem der Trend zur Regionalität, neue Sorten und kreative Kooperationen mit der Gastronomie aus manchen Problemen Chancen machen: In Metropolen wie San Diego, Denver oder Boston öffnen dennoch weiterhin einzelne spannende Start-ups, während die Konsolidierungswelle kleinere Überlebenskünstler stärkt und Nischenprodukte hochbewertet werden. 

Ob die aktuelle Bereinigung letztlich ein Neuanfang wird, bleibt abzuwarten – die Szene hat sich aber einmal mehr als wandlungsfähig erwiesen. Die „build it and they will come“-Zeiten sind vorbei, doch der Erfindergeist bleibt, während die Pioniere der Szene ihre letzten Biere ausschenken.

https://www.nytimes.com/2025/10/05/business/craft-breweries-close-sales…