World Brewing Academy und Siebel wandern aus

von Conrad Seidl 20/11/2025
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World Brewing Academy und Siebel wandern aus

Chicago/Montreal - Das traditionsreiche Siebel Institute of Technology und die gemeinsam mit Doemens gegründete Tochter World Brewing Academy verlegen ihren Sitz zum Jahreswechsel 2025/26 von Chicago nach Montreal. Das soll es ausländischen Studierenden des Brauwesens erleichtern, ein Studium aufzunehmen - die Visa-Politik der Trump-Regierung hatte den Studienbetrieb, der auch für Brauer aus Lateinamerika wichtig ist, stark unter Druck gebracht. 

Das Siebel Institute of Technology pflegte schon bisher eine enge Kooperation mit der Doemens Academy in München im Rahmen der gemeinsamen World Brewing Academy (WBA). Diese Allianz wurde gegründet, um Brauereifachleuten weltweit eine einzigartige, internationale Ausbildung zu bieten, die Theorie und Praxis auf zwei Kontinenten miteinander verbindet. Studierende beginnen ihre Schulung am Siebel Institute in Chicago und vertiefen sowie praktizieren ihr Wissen anschließend an der Doemens Academy in München. Das Programm umfasst neben intensiver theoretischer und praktischer Ausbildung auch eine europäische Brauereistudienreise, wodurch die Teilnehmer verschiedene Braukulturen kennenlernen und praxisnahe Erfahrungen sammeln können. 

Lange Ausbildungstradition

Die Übersiedelung nach Motreal markiert eine Zäsur in der Geschichte der ältesten durchgehend betriebenen Brauschule auf dem amerikanischen Kontinent und spiegelt zugleich die tektonischen Verschiebungen in der globalen Bier- und Ausbildungsbranche wider. Künftig werden die Präsenzkurse der renommierten Einrichtung im Osten Montreals abgehalten, unweit der historischen Molson-Brauerei aus dem Jahr 1786, die als älteste Braustätte Nordamerikas gilt. Der neue Campus wird mit der Lallemand Baking Academy und einem Technologie-Trainingszentrum geteilt, wodurch ein enger Schulterschluss zwischen Brau- und Backausbildung entsteht.. 

Gegründet wurde das Institut im 19. Jahrhundert vom aus Deutschland ausgewanderten Chemiker John Ewald Siebel, der 1868 zunächst ein chemisches Labor in Chicago eröffnete. Aus diesem “John E. Siebel’s Chemical Laboratory” entwickelte sich rasch ein Forschungszentrum für Brauwissenschaft, das 1868/69 auch als Zymotechnic Institute bezeichnet wurde und zunächst in engem Schulterschluss mit der lokalen Brauindustrie arbeitete. 1872 erhielt die Einrichtung den Namen Siebel Institute of Technology und etablierte sich als feste Größe im sich rasant industrialisierenden Brauwesen der Vereinigten Staaten. Früh bot die Schule strukturierte Lehrgänge für Brauer, Mälzer, Ingenieure und Abfüller an und wurde damit zu einer der zentralen Ausbildungsadressen für die aufstrebenden Brauereidynastien des Landes.

Die Geschichte des Hauses war von Anfang an eng mit Chicago verbunden. In der prosperierenden Metropole am Michigansee, die sich im späten 19. Jahrhundert zum industriellen Knotenpunkt und Eisenbahndrehkreuz entwickelte, fanden Brauereien und Brauwissenschaft ideale Bedingungen vor. Die frühen Siebel-Kurse trugen dazu bei, die Qualität und Haltbarkeit des Bieres in einer Zeit zu verbessern, in der Kühlketten noch im Aufbau waren und mikrobiologisches Wissen gerade erst in die Praxis fand. Mit dem Wachstum der Brauindustrie wuchs auch das Renommee des Instituts; Absolventinnen und Absolventen gingen in Schlüsselpositionen der amerikanischen Brauereilandschaft, viele von ihnen in die großen Lagerbierhäuser deutscher Prägung.

Einschnitt durch Prohibition

Einen tiefen Einschnitt brachte die Prohibition. Als der Alkoholverkauf 1920 landesweit verboten wurde, stand auch das Siebel Institute vor der Frage, wie sich eine Brauschule in einem Land ohne legales Bier behaupten kann. Die Antwort bestand in Diversifizierung: Das Institut weitete sein Programm auf Backwesen, Kältetechnik, Mühlenwesen, kohlensäurehaltige Getränke und andere lebensmitteltechnologische Felder aus. Damit blieb das Know-how der Lehrenden erhalten, während die klassische Brauereiausbildung im Hintergrund überdauerte. Mit der Aufhebung der Prohibition 1933 kehrte der Fokus schrittweise zur reinen Brauwissenschaft zurück; parallel wurden nichtbrauereibezogene Kurse wieder eingestellt, und die Familie Siebel baute das Institut in mehreren Generationen zu einem modernen Spezialanbieter für Brautechnologie aus.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts änderte das Institut mehrmals seinen Standort innerhalb Chicagos, blieb aber stets in der Nähe der industriellen Bierkultur verankert. Nach Jahrzehnten im Norden der Stadt zog die Schule 2013 in das Gebäude des Kendall College am North Branch des Chicago River und später in einen eigens gestalteten Campus im West Loop. Dort wurde in den vergangenen Jahren eine moderne Pilotbrauerei mit Schulungsbar, Sensorikräumen und multimedial ausgestatteten Seminarräumen aufgebaut. Diese enge Verzahnung von Praxis und Theorie ist bis heute ein Kern des pädagogischen Selbstverständnisses: Die Studierenden sollen in einer Umgebung lernen, die den Bedingungen einer innovativen, aber industriell ausgerichteten Brauerei möglichst nahekommt.

Parallel zur technischen Modernisierung erweiterte das Siebel Institute seine internationale Reichweite. Gemeinsam mit der Doemens Academy in München wurde Anfang der 2000er-Jahre die World Brewing Academy (WBA) gegründet, deren Programme sich explizit an eine globale Studierendenschaft richten. Die dual konzipierten Lehrgänge, die Teile des Curriculums in Chicago und München vorsehen, sind seither ein Markenzeichen der Einrichtung. In Montreal wird dieses Konzept fortgeführt: Die deutschen Partner, vertreten durch die Doemens Academy, begrüßen die Verlagerung nach Kanada ausdrücklich und sehen darin einen strategischen Schritt, um langfristig attraktive Rahmenbedingungen für internationale Teilnehmende zu sichern.

Der nun angekündigte Umzug nach Montreal ist aus Sicht der Eigentümerin Lallemand Inc. vor allem eine Antwort auf strukturelle Veränderungen des Marktes und des regulatorischen Umfelds. Das in Kanada ansässige Familienunternehmen, das seit dem Jahr 2000 Eigentümer des Instituts ist, verweist auf steigende Betriebskosten, veränderte Branchentrends und zunehmende Schwierigkeiten für internationale Studierende bei der Einreise in die Vereinigten Staaten. Viele Teilnehmende der Siebel-Programme stammen aus Ländern, in denen Visa-Prozesse für die USA zuletzt komplexer und zeitaufwendiger geworden sind. Montreal biete hingegen ein offeneres Umfeld für akademische Kurzaufenthalte, kombiniert mit einer lebendigen gastronomischen Szene, die gerade in der Craft-Bier- und Fermentationskultur einen internationalen Ruf genießt.

Die Pandemie-Jahre haben die Entscheidung zusätzlich geprägt. Während der COVID-19-Krise sicherte die finanzielle Unterstützung durch Lallemand den Fortbestand des Instituts in Zeiten, in denen Reisemöglichkeiten eingeschränkt und Präsenzkurse nur bedingt möglich waren. Gleichzeitig beschleunigte die Krise die Entwicklung digitaler Angebote. Heute bietet das Siebel Institute eine breite Palette an Online-Lehrgängen an, die auch nach der Verlagerung des physischen Campus die Reichweite der Programme sichern sollen. Der Generalsekretär und Ausbildungsdirektor John Hannafan betont, dass die Qualität der Lehre und die Bezahlbarkeit der Kurse oberste Priorität hätten; der Umzug nach Montreal solle es ermöglichen, beides auch in einem herausfordernden wirtschaftlichen Umfeld zu gewährleisten.

Historisch bemerkenswert ist die nun entstehende räumliche Nähe zur Molson-Brauerei, deren Anfänge bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Die Koexistenz einer modernen Brau- und Backakademie mit einem der ältesten nordamerikanischen Brauhäuser verbindet symbolisch mehrere Schichten der Biergeschichte des Kontinents: von den ersten kommerziellen Brauversuchen kolonialer Prägung über die Industrialisierung und die Ära der Lagerbiere bis hin zur heutigen Experimentierrfreude der Craft-Szene. Für das Siebel Institute eröffnet die Nachbarschaft zu einem historischen Braustandort zugleich neue Möglichkeiten für Kooperationen, Exkursionen und praxisnahe Lehre in unmittelbarer Nähe einer großen Produktionsbrauerei.

Kooperation mit Goose Island

Eine bedeutende Rolle in der jüngeren Geschichte des Instituts spielte auch die zeitweilige Zusammenarbeit mit der Goose Island Brewery in Chicago. Auf der künstlichen Insel im Chicago River, die der Brauerei ihren Namen gab, betrieb Goose Island über viele Jahre hinweg eine kombinierte Produktions- und Versuchsanlage, die sich zu einem wichtigen Knotenpunkt der amerikanischen Craft-Bier-Bewegung entwickelte. In diesem Umfeld war das Siebel Institute zeitweise mit Schulungs- und Forschungsaktivitäten präsent; die räumliche Nähe ermöglichte es, Studierenden Einblicke in eine der einflussreichsten Craft-Brauereien der USA zu geben. Die Kooperation trug dazu bei, dass klassische Brautechnologie und experimentelle Bierstile – etwa fassgereifte Spezialitäten oder hopfenbetonte Ales – im Ausbildungsalltag enger zusammengerückt sind.

Die Verbindung von wissenschaftlicher Ausbildung und lebendiger Brauszene, die in Chicago unter anderem über Goose Island gepflegt wurde, soll nach dem Willen der Verantwortlichen auch in Montreal fortgesetzt werden. Die Stadt verfügt über eine vielfältige Mikrobrauereiszene, die von traditionellen europäischen Stilinterpretationen bis zu modernen Sauerbieren und Hybridstilen reicht. Die neuen Räumlichkeiten, die mit der Lallemand Baking Academy geteilt werden, sind darauf ausgelegt, Fermentation in einem breiten Sinne zu denken – von Bier und Sauerteigbrot bis hin zu anderen fermentierten Lebensmitteln. Damit knüpft das Institut an antike Traditionen an, in denen Brauen und Backen oft in denselben Werkstätten stattfanden und Bier und Brot aus derselben Getreidegrundlage entstanden.

Für die Studierenden bedeutet die Verlagerung nach Montreal zunächst eine Änderung der Reiserouten, aber keine Abkehr vom bestehenden Programmportfolio. Die bekannten Online-Module und die Präsenzkurse der World Brewing Academy sollen unverändert fortgeführt und am neuen Standort schrittweise ausgebaut werden. Gleichzeitig will man die Vorteile des kanadischen Umfelds nutzen: Montreal präsentiert sich als zweisprachige, kulturell vielfältige Metropole mit hoher Lebensqualität, gut angebunden an die Märkte in Nordamerika und Europa. Für eine Branche, die zunehmend international denkt und in der Fachkräfte weltweit mobil sind, dürfte die neue Adresse des Siebel Institute of Technology damit nicht nur symbolisch, sondern auch ganz praktisch ein Signal sein: Die Zukunft der Brauausbildung ist global – und sie wird, zumindest in Nordamerika, künftig von Montreal aus mitgestaltet.

www.siebelinstitute.com